Ein kleiner Disput mit dem Chef, eine kranke Tochter, die nicht in die KiTa kann, ein angebranntes Essen kurz bevor die Gäste kommen, ein schwieriges Gespräch mit einem Kunden... Kommt dir bekannt vor? Für sich alleine sind diese Dinge alle nicht so schlimm. Aber in der Summe können sie irgendwann ganz schön belastend werden.
Mein ganz normaler Wahnsinn
Mein letzter Monat war voller solcher Momente: Bei der Arbeit gab es einige Pannen und zuhause herrschte Notstand, weil unsere Tochter krank war, die Geschirrspülmaschine ausfiel und meine Schwiegermutter mit einem Oberschenkelhalsbruch ins Spital musste. Dann noch die Nachricht, dass mein*e Partner*in jetzt doch nur eine, statt zwei Wochen Sommerferien erhält, worauf es Schwierigkeiten mit den Vermietern der Ferienwohnung gab, weil wir die zweite Woche stornieren wollten. Dazu kamen weitere unglückliche Zufälle, wie eine leere Cornflakes-Packung am Morgen und drei verpasste Trams. Aber am meisten beunruhigt war ich, als ich eines Abends im Bett lag und mich fragte, wann mein*e Partner*in und ich eigentlich das letzte Mal zusammen ausgegangen waren. Wann hatten wir zuletzt ein inspirierendes Gespräch geführt, bei dem es nicht um Stornierungsbedingungen, Spitalbesuche oder Termine mit dem Handwerker ging? Sex lag zwar zwischendurch noch drin, aber wir hatten auch schon häufigere und ausgelassenere Zärtlichkeit genossen. Diese Gedanken machten mich ziemlich unzufrieden.
Verpasste Züge, stressige Sitzungen, einkaufen mit den Kindern im vollen Supermarkt – diese Dinge gehören doch zum Alltag dazu. Nicht viel dabei, oder doch? Im Folgenden geht es darum weshalb und wie solche Situationen einen Einfluss auf unsere Partnerschaft haben...
Die Studie
Ähnliche Fragen haben sich nämlich vor ein paar Jahren auch eine Forschergruppe um Professor Bodenmann gestellt (Milek, Randall, Nussbeck, Breitenstein & Bodenmann, 2017). Dabei hatten sie genau diese Stresssituationen, die auch meinen letzten Monat bestimmt haben, im Auge. Im Fachjargon ausgedrückt chronic minor external stress (CMES) – minor, weil damit nicht grosse Schicksalsschläge gemeint sind (sondern eben diese mehr oder weniger alltäglichen Widrigkeiten) und external, weil der Stress von ausserhalb der Paarbeziehung kommt und nicht Streitigkeiten oder Differenzen innerhalb eines Paars gemeint sind. Es ist jedoch bekannt, dass zu viel Stress von ausserhalb der Beziehung seinerseits Auswirkungen auf die Partnerschaft und somit auch Beziehungsunzufriedenheit zur Folge haben kann. Folgendes haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersucht:
Erstens wollten sie überprüfen, ob der negative Zusammenhang von Stress und Beziehungszufriedenheit über die gemeinsam verbrachte Zeit der Partner*innen vermittelt wird, im Sinne von Stress -> weniger gemeinsame Zeit -> Unzufriedenheit. Zweitens fragen sie sich, ob es dabei zwischen der Quantität und der Qualität der gemeinsam verbrachten Zeit zu unterscheiden gilt. Drittens wollten sie herausfinden, ob es zwischen Frauen und Männern Unterschiede gibt. Denn bisherige Befunde legen nahe, dass Frauen stärker unter Stress leiden (z. B Hamermesh, 2008) und Letztere der gemeinsamen Zeit mit dem Partner auch grössere Wichtigkeit beimessen als dies Männer tun (z.B Smith, Synder, Trull & Monsma, 1988).
Die Studie wurde in Nordrheinwestfalen (DE) als Teil eines grösseren Forschungsprojekts durchgeführt. Teilnehmen konnten Paare, die mindestens ein Kind im Alter zwischen 16 und 21 Jahre hatten und seit mindestens einem Jahr in einer heterosexuellen festen Partnerschaft lebten. Insgesamt wurden Daten von 90 Paaren ausgewertet. Die Partner waren zwischen 39 und 68 Jahre alt und im Schnitt seit 25 Jahren zusammen (87 % verheiratet). 67 % wohnten mit einem oder mehreren Kindern zusammen.
Die teilnehmenden Personen wurden mittels eines Codes anonymisiert und füllten unabhängig von der Partnerin oder dem Partner einen Onlinefragebogen aus. Dieser enthielt Fragen zur gemeinsamen Zeit als Paar (unter der Woche und am Wochenende, basierend auf der letzten Woche). Im Durchschnitt berichteten die Paare von 4.84 gemeinsam verbrachten Stunden unter der Woche. Weiter wurde die Qualität der gemeinsam verbrachten Zeit erfasst: Dazu sollten sie angeben, wie oft sie während einer Woche verschiedene gemeinsame Aktivitäten ausführten (1= nie bis 5 = sehr oft), wie zum Beispiel „gemeinsam einkaufen“ oder „fernsehen“. Weiter wurden sie gefragt, ob für sie eine Aktivität das Potential hatte, das „Wir-Gefühl“ in ihrer Partnerschaft zu stärken. „Quality Time“ wurde ermittelt, in dem die Forschenden schauten, wie oft Aktivitäten ausgeführt wurden, die von über 90 % der Personen als Aktivitäten mit Potential zur Förderung des Wir-Gefühls eingestuft worden waren. Dazu gehörten folgende Aktivitäten: Gemeinsame Mahlzeiten, zusammen ausgehen, sich über den Tag austauschen, wichtige Themen besprechen, körperlich zärtlich und intim sein. Durchschnittlich hatten die Paare während einer Woche oft gemeinsame Quality Time (Mittelwert 3.82). Weiter wurde gefragt, wie oft die Person in den letzten zwölf Monaten die bereits erwähnten CMES erlebt hatte (Alltagsstress, Probleme mit den Nachbarn, Stress im Job etc.) (1 = überhaupt nicht bis 4 = oft). Zum Schluss wurde mittels sieben Fragen die Beziehungszufriedenheit erfasst. Um keine verzerrten Ergebnisse zu erhalten, wurde rechnerisch für verschiedene Einflüsse kontrolliert: Dazu gehörte die Anzahl wöchentliche Arbeitsstunden, die Anzahl Kinder im Haushalt, das durchschnittliche Alter der Kinder und die Beziehungsdauer des Paars. Dies sind alles Faktoren, die einen Einfluss auf die untersuchten Zusammenhänge haben könnten.
Resultate
Erstens: Es zeigte sich, dass die gemeinsame Zeit den negativen Zusammenhang von Stress und Beziehungszufriedenheit vermittelte (Stress -> gemeinsame Zeit -> Beziehungszufriedenheit). Allerdings galt dies nur für die Qualität und nicht für die Quantität (also die allgemeine Dauer) der gemeinsam verbrachten Zeit. Es fand sich kein signifikanter Einfluss von Stress auf die Dauer gemeinsam verbrachten Zeit, was bedeutet, dass Paare bei denen einer oder beide Partner gestresst waren, im Durchschnitt nicht weniger Zeit zusammen verbrachten (jedoch weniger Quality Time). Mehr Quality Time ging bei Frauen und Männern mit einer höheren Beziehungszufriedenheit zusammen.
Zweitens: Es muss also zwischen Qualität und Quantität unterschieden werden und auch ihr jeweiliger Einfluss auf die Beziehungszufriedenheit war bei Frauen und Männern nicht ganz gleich. Während bei den Frauen 25 % der unterschiedlichen Ausprägungen in der Beziehungszufriedenheit durch die Qualität der gemeinsam verbrachten Zeit erklärt werden konnte, waren es nur 3 %, welche sich durch die Quantität der verbrachten Zeit erklären liess. Bei den Männern erklärte die Qualität 15 % und die Quantität nur 1 % der Unterschiede zwischen den Männern in Bezug auf ihre Beziehungszufriedenheit.
Drittens: Die vermuteten Unterschiede zwischen Männern und Frauen wurden bestätigt: Der indirekte Weg von Stress über -> gemeinsame Zeit -> Beziehungszufriedenheit zeigte sich so nur bei Frauen, deren Stress sich auf diesem Weg sowohl negativ auf ihre eigene Beziehungszufriedenheit als auch auf die Beziehungszufriedenheit ihres Partners auswirkte. Dies war insbesondere für die Quality Time der Fall. Wie bereits erwähnt, konnte die gemeinsam verbrachte Zeit bei den Frauen einen grösseren Anteil an Varianz in der Beziehungszufriedenheit erklären als bei den Männern. Für viele Frauen scheint solche Quality Time als Paar also etwas Zentrales zu sein, damit sie sich in ihrer Beziehung wohl und zufrieden fühlen.
In Kürze
Die Ergebnisse der Studie weisen darauf hin, dass es nicht einfach darum geht, möglichst viel Zeit mit der Partnerin* oder dem Partner* zu verbringen. Viel mehr geht es darum, wie die gemeinsame Zeit gestaltet wird. Und wie wir unsere Zeit als Paar verbringen, scheint wiederum von unserem Stress beeinflusst zu werden. Denn es zeigte sich, dass Frauen, die über mehr Stress berichteten, insgesamt nicht weniger Zeit mit ihrem Partner verbrachten, jedoch weniger qualitative Momente hatten (wie zusammen ausgehen, sich über den Tag austauschen oder körperlich zärtlich und intim zu sein) und dadurch in ihrer Beziehung auch weniger zufrieden waren. Bemerkenswert ist auch, dass sich der Stress der Frauen nicht nur auf ihre eigene Beziehungszufriedenheit, sondern auch auf die des Partners auswirkte. Es reicht eben nicht, wenn wir uns zwar sehen, aber nur über Stornierungsbedingungen, Spitalbesuche oder Termine mit dem Handwerker reden oder im besten Fall noch nebeneinander 10 vor 10 schauen bevor wir müde ins Bett fallen.
Was nun?
Mein letzter Monat war zum Glück eine Ausnahme. So stressig ist es nicht immer in meinem und unseren Leben! Trotzdem gibt es diese Phasen und nicht immer kann ich sie verhindern. Der vergangene Monat und die Beschäftigung mit dieser Studie haben mir aber gezeigt, dass es gerade in diesen Momenten wichtig ist, meiner Partnerschaft Sorge zu tragen. Gemeinsame Quality Time gibt auch wieder Energie für den Alltag. Es muss nicht immer ein ganzer Abend mit Kino und romantischem Abendessen sein. Schon eine kurze Unterhaltung über den Tag, eine liebevolle Umarmung oder ein kleiner Spaziergang kann in stressigen Zeiten heilsam sein. Ohne diese Momente leidet unsere Beziehung, was zu Konflikten, Entfremdung, Unzufriedenheit und letzten Endes zu noch mehr Stress führt. Wichtig ist auch, dass wir uns bewusst sind, dass jeder anders auf Stress reagiert. Während sich der eine zurückzieht, wird der andere gereizt und verfällt in Aktivismus. Diese unterschiedlichen Strategien haben auch mit unserer Persönlichkeit und mit früheren Erfahrungen zu tun und das ist auch in Ordnung. Und doch ist es wichtig, dass wir uns gerade in diesen Zeiten nicht aus den Augen verlieren!
Wenn du also merkst, dass Stress in eurer Beziehung ein Thema ist und vielleicht auch beobachtest, wie er sich auf eure gemeinsame Zeit und eure Beziehungsqualität auswirkt, gilt es darüber zu reden und sich kleine Paar-Oasen zu schaffen. Eine Möglichkeit ist auch, in Form eines Paarlife-Trainings Strategien zum gemeinsamen Umgang mit Stress zu erlernen.
(Die Beispiele im Text sind fiktiv)
Dieser Eintrag basiert auf dem Artikel Deleterious effects of stress on time spent together and parents’ relationship satisfaction von den Forscherinnen und Forschern Anne Milek, Ashley K. Randall, Fridtjof W. Nussbeck, Christina J. Breitenstein und Guy Bodenmann aus dem Jahr 2017.
geschrieben von Noëmi Ruther
Comentarios