Der ganz verrückte Alltag
Eigentlich sollte es ein romantischer Abend werden. Mein Mann* und ich wollten wieder einmal gemeinsam kochen und uns anschliessend einen Film anschauen, den uns Freunde empfohlen hatten. Doch heute lief wirklich alles schief. Nachdem ich letzte Nacht schlecht geschlafen hatte (es war viel zu heiss und mein Mann hat wieder einmal geschnarcht), musste ich am Morgen schockiert feststellen, dass der Kaffee ausgegangen war. Ein Morgen ohne Kaffee ist für mich ein kleiner Weltuntergang! Weil ich also am Bahnhof unbedingt noch kurz einen Kaffee to-go holen musste, verpasste ich beinahe meinen Zug. Als ich es dann im letzten Augenblick doch noch in die S-Bahn schaffte, suchte ich natürlich vergeblich nach einem Sitzplatz im Pendlerverkehr. Die morgendliche Teamsitzung dauerte ewig und so kam ich kaum dazu vor dem Mittagessen an meinem eigentlichen Projekt weiterzuarbeiten. Frustration machte sich breit. Auf dem Heimweg dann noch ein vorwurfsvoller Anruf meiner Mutter, die enttäuscht war, dass ich ihr für das Mittagessen nächsten Sonntag abgesagt hatte. Als ich nach dem langen und anstrengenden Tag endlich wieder zu Hause war, stach mir als Erstes die leere Kaffeedose auf dem Küchentisch ins Auge. Wie konnte ich nur vergessen, auf den Heimweg Kaffee zu kaufen oder meinem Mann eine SMS zu schreiben (denn eigentlich war er ja dran mit einkaufen)? Anstatt ihn zur Begrüssung zu küssen und nach seinem Tag zu fragen, setzte ich geräuschvoll meine Tasche ab, warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu und hielt ihm die leere Dose unter die Nase. Wie der Abend endete, kann man sich denken...
Die Spitze des Eisbergs
Kommt dir die Szene bekannt vor? Alltagsstress ist zermürbend und belastend. Und längerfristig schadet er auch unseren Beziehungen. Auch die Forschung zeigt ganz klar, dass zu viel Stress einer Beziehung zusetzt. Oft geschieht das schleichend und wir merken erst gar nicht so recht, wie es passiert. In einer Studie erwiesen sich zwei Arten von Stress als besonders schädlich für die Beziehung: Die bereits beschriebenen täglichen Widrigkeiten und Freizeitstress. Bei den täglichen Widrigkeiten ist das Problem, dass sie sehr oft auftreten, wir aber von aussen nicht viel Unterstützung oder Verständnis erfahren, da es sich ja nicht um „wirklich schlimme“ Dinge handelt. Sie stellen oft nur die Spitze des Eisbergs dar und wir merken lange nicht, welche Auswirkungen sie eigentlich auf unsere Partnerschaft haben. Die wichtige Rolle von Freizeitstress mag zuerst ein bisschen verwundern. Aber gerade in der Freizeit ist es wirklich wichtig, dass wir uns erholen und abschalten können. Wenn aber dauernde Einladungen, Vorstandsitzungen und Druck wegen des bevorstehenden Turniers des Sportvereins weitere Hektik verursachen, fehlt der Ausgleich zu den Belastungen von Arbeit und – wenn man Kinder hat – Familie total. Vielfach wird auch in der Freizeit Zeit- und Leistungsdruck aufrechterhalten. Man joggt nicht um des Wohlbefindens und der Ruhe willen, sondern wetteifert mit anderen, will sie übertrumpfen oder die eigene Bestmarke immer wieder knacken. Statt Entspannung und Genuss wird so auch die Freizeit zum Stress.
Die Masken fallen
Dass ich nach diesem frustrierenden Tag am Abend zuerst einmal zickig und unfreundlich auf meinen Mann reagiert habe, zeigt bereits einen ersten Mechanismus auf, über den sich Stress negativ auf die Beziehung auswirkt: Chronischer Alltagsstress legt problematische Persönlichkeitszüge frei. Während wir unsere Schwächen die meiste Zeit ganz gut verstecken können, werden wir unter Stress plötzlich zickig, dominant, intolerant, weinerlich oder unflexibel. Die Masken fallen! Unter Stress verschlechtert sich ausserdem unsere Kommunikation: So konnte eine Studie zeigen, dass Paare unter Stress um rund 40 % schlechter kommunizieren. Da sind Missverstände vorprogrammiert! Ist dir auch schon aufgefallen, dass dein Partner manchmal gar nicht so richtig zuhört, wenn er gestresst ist? Oder fällst du ihm nach einem anstrengenden Tag vielleicht selbst öfters ins Wort? Ausserdem hat Stress oft zur Folge, dass wir als Paar weniger Zeit zusammen verbringen. Und wenn wir uns dann sehen, geht es darum, noch irgendetwas zu erledigen oder zu besprechen. Gemeinsame Spaziergänge, einen Abend in der Badewanne oder ausgedehnte Gespräche bei einem Glas Wein stehen nicht mehr auf dem Programm. Und nicht zuletzt kann chronischer Stress auch zu körperlichen und psychischen Problemen führen, was die Beziehung zusätzlich belastet. Wenn wir immer mehr in diese negative Spirale geraten, entfremden wir uns, werden unzufrieden in der Beziehung und wenn dann noch ein Auslöser dazu kommt, kann es irgendwann tatsächlich zu einer Scheidung kommen. Und das alles wegen Stress? Natürlich führt Stress nicht direkt in die Scheidung, aber über die beschriebenen Mechanismen, kann er unsere Beziehungen tatsächlich massiv beeinflussen und schädigen. Das Gute ist, dass wir etwas unternehmen können! Einerseits können wir versuchen, unseren Stress zu verringern und andererseits können wir auch lernen, besser mit Stress umzugehen. Jeder für sich selbst und auch gemeinsam als Paar. Hier setzen auch die Programme von Paarlife an! Mehr zum Umgang mit Stress im nächsten Blog-Eintrag.
(Die Beispiele im Text sind fiktiv)
Dieser Eintrag bezieht sich auf das Buch Beziehungskrisen - erkennen, verstehen und bewältigen von Prof. Dr. Guy Bodenmann.
geschrieben von Noëmi Ruther
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